Lisdorf wird 1100

Ein Nachbardorf mit jahrhundertealter gemeinsamer Geschichte und mit zwei Äbten für die Wadgasser Abtei

Heute kommt man über A 620 und am neuen Autobahnzubringer nach Lisdorf, mit dem Wadgassen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch über die Saarlouiser Straßenbahn, die bis zum Wadgasser Bahnhof fuhr, verbunden war. Daraus läßt sich nur schwer ermessen, wie der heute eng mit Saarlouis verwachsene Vorort über Jahrhunderte eines der wichtigsten Besitzungen der Abtei Wadgassen gewesen ist.  Gemeinsam mit Ensdorf kommen die wesentlichen Teile Lisdorfs im Verlaufe des 12. Und 13. Jahrhunderts durch Schenkungen und Gebiets- und Gerichtsübertragungen zum Kloster Wadgassen, das als wichtigstes Herrschaftszentrum an der mittleren Saar über Jahrhunderte die gesamte Gegend dominiert und seine Geschicke wesentlich mit bestimmt hat.  

Letstorph - Lisdorf

Es ist eine Urkunde aus dem Jahre 911, dem Todesjahr des östfränkischen Königs Ludwig das Kind (893-911 - wir verdanken ihm 902 die Ersterwähnung Wadgassens (villa wuadegozzinga) - , die die erste erhaltene Erwähnung von Lisdorf (Letstorph) enthält. Der westfränklische König Karl III. (genannt ‚der Einfältige‘) bescheinigt darin dem Bischof Stephan von Cambrai und seinen Nachfolgern, sein Hofgut Letstorph mit einem Kastell zu befestigen. Des weiteren schloss die Urkunde das Markt- und Münzrecht sowie eine Schutzgarantie durch den König ein. Nicht nur das frühe Aufeinanderstoßen der west- und ostfränkischen Herrschaftsgebiete in unserer Gegend sind für diese beiden Ereignisse bemerkenswert, sondern auch, daß hier deutlich wird, wie das Nebeneinander dieser politischen Einflußgebiete und die dadurch entstehenden Veränderungen unsere Gegend und die gesamte Region bereits seit dem Mittelalter geprägt haben.  Eine ausführliche Festschrift, mitgetragen und herausgegeben vom Lisdorfer Heimatverein wird die zahlreichen Details in Wort und Bild gebührend zusammenfassen. Aus der langen gemeinsamen Geschichte von Wadgassen und Lisdorf ragen einige besondere Ereignisse und Begebenheiten, die hier erwähnt werden sollen. Waldreichtum und Landwirtschaft zählen zu den bedeutendsten Kennzeichen Lisdorfs und seiner Verbindung zum Wadgasser Kloster und sind auch bis heute eng mit dem Namen Lisdorf verknüpft.  

Weistum von Lisdorf

Aus den Jahren 1443 und 1460 sind die als Weistum von Lisdorf überlieferten Dokumente anschauliche Belege für spätmittelalterliche Rechtsdokumente, mit denen althergebrachte rechtliche Bestimmungen und Zugehörigkeiten mündlich verhandelt und als Protokoll aufgeschrieben wurden. Zwei Hexenprozesse mit Aburteilung durch das Hochgericht Wadgassen sind aus dem Jahre 1594 überliefert, während derer u.a. zwei Lisdorferinnen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.

Saarlouis auf Wadgasser Boden

Nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg zählt der Bau der Festung von Saarlouis Auf teilweise zu Wadgassen/Lisdorf gehörendem Gebiet wird die neue Festungsstadt Saarlouis errichtet. Das in der früheren Balleihauptstadt Wallerfangen gewesene Kapuzinerkloster wird im Zuge des Festungsneubaus abgebrochen und 1695 auf “der Insel von Lisdorf“, die zur Abtei Wadgassen gehört, unter Abt Petrus Marx wieder errichtet (Michael Tritz). Es erhält 13 Tagewerke, wo Gebäude, Garten, Baumgarten und eingezäunte Gemüsebeete errichtet wurden. Die Gebäude wurden während der Französischen Revolution zum Jakobinerclub umfunktioniert. Gleichzeitig mit dem Wiedererstehen das Wadgasser Klosters nach dem Dreißigjährigen Krieg wächst die Lisdorfer Bevölkerung auch unter dem Einfluß des großen Zuzuges in die neue Festungsstadt Saarlouis und die Umgebung, während Wadgassen ja nur die Klosterzentrale und kein Dorf war. So nimmt es nicht Wunder, daß nach Aus- und Umbauten in Wadgassen nach dem Tode von Abt Hermann Mertz ein Lisdorfer zum neuen Abt von Wadgassen gewählt wird.

Lapis Mysticus – der Lisdorfer Michael Stein wird Abt von Wadgassen

Der im Jahre 1743 gewählte Lisdorfer Michael Stein (Regierungszeit 1743-1778) ist als ein außerordentlicher Glücksfall für die Abtei Wadgassen zu bezeichnen. Neben den zahlreichen Kirchen- und Hofneubauten u.a.  in Berus, Großblittersdorf, Ensheim und vielen anderen entsteht die neue eintürmige Abteikirche in Wadgassen (von 1749-1752)  und 1764 die neue Pfarrkirche in Lisdorf, die den Turm der 1718 gebauten Vorgängerkirche mit eeinbezieht. Seinem Weitblick und großen Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, daß Wadgassen nach den Tauschvereinbarungen zwischen Nassau-Saarbrücken und Frankreich nach 1766 zwar an Frankreich kommt, seine Besitzungen und Gerechtigkeiten auf Reichsgebiet aber behält.  

Pierre Schmidt – Dunkle Geheimnisse um den zweiten
Wadgasser Abt aus Lisdorf

Sein Nachfolger wird der ebenfalls  aus Lisdorf stammende Peter Schmidt oder Pierre Schmidt (Regierungszeit 1778-1783), wie er sich jetzt als Geistlicher unter der Französischen Krone auch nannte. In die Regierungszeit des auf einem zeitgenössischen Portrait bereits in französischem Prämonstratenserhabit abgebildeten Schmidt fällt der Beginn der manufakturiell erzeugten sogenannten Wadgasser Klosterdosen. Diese Tabaksdosen, die ursprünglich vom Wadgasser Bannmüller Johann Mathias Adt aus Holz geschnitzt, etwa ab 1780 aus Papiermaché direkt im Gebäude der Ensheimer Probstei Wadgassens hergestellt wurden, sind die Anfänge einer erfolgreichen Industriegeschichte der Firma Adt und zugleich auch unserer Region, die industriell nicht nur von Kohle und Stahl geprägt gewesen ist . Die Möglichkeit für den Bannmüller, gemeinsam mit seinen Söhnen in den Probsteigebäuden eine Klosterdosenfertigung zu beginnen, weist Schmidt als einen weitsichtigen und aufgeklärten Geistlichen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus. Der unerwartete Tod Schmidts im Jahre 1783 bot bereits damals Stoff für Spekulationen. Michael Tritz berichtet von einer Anzeige des Dieners mit Namen Galli, der die Ermordung Schmidts behauptete. Der Leichnam des Abtes wurde zweimal obduziert, wonach gerichtlich festgestellt wurde, daß der Mordverdacht  nicht aufrecht erhalten werden konnte. Bei Ausschachtungarbeiten für den Neubau des Wadgasser Glashütte wurden 1847 zwei Gräber entdeckt, die sich – so Tritz – aufgrund der Beigaben wie Mitra und Abtsstab, als Abtsgräber herausstellten. Die bei der Obduction Schmidts erfolgte Abhebung der Schädeldecke wurde bei dem Grabfund ebenfalls festgestellt, wodurch dieser ziemlich sicher als Petrus Schmidt identifiziert werden konnte. Die Leichname der beiden aus Lisdorf stammenden Äbte wurden am 5. Oktober 1847 auf dem Wadgasser Kirchhof beigesetzt. Mit der Aufhebung des Klosters durch die Französische Revolution endet die Jahrhunderte alte unnmittelbare Verbindung zwischen Abtei Wadgassen und Lisdorf, wenngleich bis heute aus dieser Zeit noch zahlreiche familiäre Verbindungen zwischen beiden Orten bestehen.

 

© Patrik H. Feltes, M.A.

 

Literatur

- Tritz, Michael: Geschichte der Prämonstratenserabtei Wadgassen (...). Wadgassen: Selbstverlag, 1901 [ND 1978]
- Breviarium sive Compendium omnium fundationum præcipuarum & anniversariorum ab origine WADEGOTIÆ factorum formam referens ANNALIUM. Wadegotia [=Wadgassen], Prämonstratenser- Chorherrenstift, 1743 [Exemplar der Klosterannalen des Conradus Piscator fortgeführt bis zum Jahre 1743 aus der Bibliothek des Klosters Strahov/Prag] 
- (Burg, Josef) Regesten der Prämonstratenserabtei Wadgassen bis zum Jahre 1571. Bearbeitet und herausgegeben von Josef Burg. Saarbrücken: Verlag Die Mitte, 1980

 

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